Neben 39 Einsatzkräften und Übungsmimen in der Höhle waren auch rund 30 weitere freiwillige Helfer unter Federführung der örtlich zuständigen Reichenhaller Bergwacht an der Oberfläche gefordert, darunter ein Führungsstab in der Bergrettungswache, das Team des Technikbusses der Bergwacht-Chiemgau, der Fachdienst Information und Kommunikation (IuK) der BRK-Bereitschaften, das Team für Realistische Unfall- und Notfalldarstellung des Jugendrotkreuzes (RUD) und der Betreuungsdienst (BtD) der BRK-Bereitschaften, der alle Teilnehmer mit Speisen und Getränken versorgte und ein beheiztes Zelt am Parkplatz der Predigtstuhlbahn aufbaute.
Petra und Peter aus Salzburg haben sich am Freitagnachmittag nach einer Tour durch die Pfingsthöhle im Müllnerhörndl bei Bad Reichenhall nicht bei ihren Verwandten zurückgemeldet – die befürchten das Schlimmste und setzen bei der Leitstelle Traunstein einen Notruf ab, die zunächst die Reichenhaller Bergwacht zur Vermisstensuche alarmiert. Schnell wird klar, dass die beiden noch nicht aus der Höhle ausgefahren sind – ihr Auto wird am Parkplatz der Predigtstuhlbahn gefunden. Bergwacht-Einsatzleiter Christian Schieder fordert deshalb kurz nach 17 Uhr die Bergwacht-Höhlenretter nach, wobei Guido Fick die Einsatz-Abschnittsleitung für die Rettung unter Tage übernimmt.
Während ein flinker medizinischer Voraustrupp der nächstgelegenen Höhlenrettungswache aus Mitterfelden (Bergwacht Freilassing) zusammen mit dem Grassauer Bergwacht-Notarzt Dr. Christian Freund bereits vom Saalachsee aus über das trockene Bachbett in Richtung des Höhleneingangs aufsteigt und in die Höhle einfährt, rücken für die bevorstehende, aufwendige Rettungsaktion weitere Einheiten aus ganz Bayern nach, darunter Höhlenretter der Wachen München, Murnau und Samerberg (Rosenheim), das Team des Technikbusses der Bergwacht-Chiemgau, die BRK-Bereitschaften zur Verpflegung und Unterbringung der Einsatzkräfte (BtD) und kommunikationstechnischen Unterstützung der Einsatzleitung (IuK) sowie ein Führungsstab der Reichenhaller Bergwacht, der von der Rettungswache aus alle Abläufe zentral koordiniert. Der Bergwacht-Einsatzleiter lässt am Bereitstellungsraum an der Predigtstuhlbahn, am Material-Depot am Saalachsee-Ufer und am Höhleneingang insgesamt drei Schleusen errichten, an denen das eingesetzte Personal registriert und dokumentiert wird.
Als der Voraustrupp eintrifft, ist Peter nur noch bedingt ansprechbar; er hat sich mit letzter Kraft aus einem Wassertümpel am Wandfuß gerobbt, spürt seine Beine nicht mehr und liegt unterkühlt am Boden; Petra hängt gute zehn Meter oberhalb ohne Seil an der Wand im Wasserfall und ruft psychisch total aufgelöst um Hilfe. Notarzt Dr. Freund und die Sanitäter sorgen mit Wärmeweste, Rettungsdecken und Wärmezelt dafür, dass Peter nicht weiter auskühlt, kümmern sich über einen intravenösen Zugang um die Schmerzbekämpfung und versorgen mit Schienen und Verbänden die Platzwunden und Brüche. Ein nachrückender Technik-Trupp verlegt ein Telefonkabel bis zur Unfallstelle und meldet per Höhlen-Telefon und Höhlenfunk (Cavelink) Informationen zum aktuellen Zustand des Patienten und Personal- und Materialbedarf an die Oberfläche. Über einen eigenen Digitalfunk-Übungskanal werden alle weiteren Stellen stets auf dem Laufenden gehalten. Die Einsatzleitung im Bergwachthaus arbeitet nach dem bewährten Stabsprinzip der Dienstvorschrift 100 (S1 bis S6). Mit drei Projektoren und vielen Notebooks wird der Ablauf der Übung erfasst, dokumentiert und dargestellt. Dabei wird auch erfolgreich ein neues Einsatzerfassungssystem erprobt, das künftig bei Großschadenslagen zur Anwendung kommen soll.
Als Stephan Bauhofer und Jakob Brandner von der Bergwacht Berchtesgaden am hinteren Höhlenende ankommen, wartet eine Spezial-Aufgabe auf sie: Bauhofer muss mit Gummistiefeln durch die glitschige Wand nach oben klettern, eine Zwischensicherung setzen, Petra sichern und dann am Seil ablassen. Was zunächst schwer lösbar scheint, gelingt mit den beiden erfahrenden Bergrettern routiniert und gekonnt. Petra ist ausgekühlt und hat leichte Schrammen, erholt sich aber Dank Wärmeweste und psychischer Betreuung rasch und kann im Gegensatz zu Peter aus eigener Kraft zum Ausgang begleitet werden.
Dann trifft auch die Spezialtrage „Nest“ ein; nachrückende Einsatzkräfte haben sie an den vielen Engstellen vorbei bis zum Patienten gebracht, wobei bereits jetzt klar ist, dass sie mit Peter nicht mehr überall hindurchpassen wird. Während am hinteren Ende bereits unter vereinten Kräften der Abtransport beginnt, setzen weitere Höhlenretter Bohrhaken für Seilbahnen und Umlenkstellen und müssen einen besonders engen Abschnitt mit Sprengstoff erweitern – jede Hand wird gebraucht. Nässe und Kälte zehren auch an den Rettern, die wie viele kleine Zahnräder einer großen Maschine immer wieder mit viel Geduld warten müssen, bis der komplexe Abtransport an- und nach vielen Schwierigkeiten weiterläuft.
Der lange Weg an die Oberfläche ist oft Zentimeterarbeit und gelingt nur, da alle mit viel Optimismus Hand in Hand zusammenarbeiten: Während die einen mit vollem Körpereinsatz gegen die Trage stemmen und pressen, hängt sich ein weiterer Zugtrupp ins Seil, damit die Trage wie von einer Zauberhand geführt unvorstellbar schonend durch die verschlungenen und oft sehr engen Gänge Meter für Meter in Richtung Ausgang gleitet, ohne dass der schwer verletzte Peter irgendwo anstößt oder erschüttert wird. Niemand friert mehr, jeder ist mit vollem Körpereinsatz dabei und keiner merkt, wie die Stunden nur so verfliegen. Auf einmal ist es 4.30 Uhr am Morgen und alle Akkus der Bohrmaschinen sind leer – Zwangspause, denn die ganze Mannschaft läuft mittlerweile perfekt eingespielt und voll motiviert auf Hochtouren.
Es folgt große Enttäuschung, als Übungsleiter Rudi Hiebl unerwartet wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit abbrechen lässt und Peter wieder aus seiner Schwerverletzten-Rolle schlüpfen darf und zu Fuß an die Oberfläche kraxeln muss. „In Wirklichkeit würde die Einsatzleitung die durchgeschwitzten und durchnässten Retter jetzt im Schichtdienst ablösen lassen“, erklärt Achim Tegethoff von der Bergwacht Marquartstein, der nach dem Riesending-Einsatz zu den Freilassinger Höhlenrettern gestoßen ist und seitdem zusammen mit seinem Sohn Christian mit viel Begeisterung dabei ist. Im Müllnerhörndl ist aber vorerst Schluss, denn die Spreng-Berechtigten müssen am Samstagvormittag noch im Steinbruch des Kieswerks am Saalachsee ihre Lizenz verlängern und sollen sich zuvor ein wenig ausruhen. Alle fahren aus, melden sich bei der Schleuse am Ausgang ab, steigen müde bei Regen und leichtem Schneefall durchs rutschige Bachbett ab und werden Gruppe für Gruppe zum Bereitstellungsraum an der Predigtstuhlbahn zurückgefahren, wo im beheizten Zelt Brotzeit und Getränke warten – die völlig vom Schlamm verschmutzte Schutzausrüstung kommt vorerst in Plastiksäcke – irgendwer muss sie dann irgendwann vom zentimeterdicken Dreck befreien.
Das restliche Wochenende ist weiterhin vom Ehrenamt Höhlenrettung geprägt: Nach der Heimreise heißt es Schlaf nachholen, stundenlang Ausrüstung waschen und putzen, verbrauchtes Material nachrüsten und die neuen Erfahrungen besprechen und umsetzen. „Was wir bei Kälte, Nässe, Dunkelheit und Dreck mit viel Begeisterung tun, kann nicht jeder verstehen und hat viel mit Leidenschaft zu tun, die bekanntlich auch Leiden schafft und eine gewisse Zähheit voraussetzt“, erklärt Übungsleiter Rudi Hiebl, der mit der Leistung und überregionalen Zusammenarbeit aller beteiligten Einheiten sehr zufrieden ist. „Wir haben heute Nacht sehr viel gelernt, manches ist nicht optimal gelaufen und es haben sich Schwierigkeiten ergeben, an die in der Theorie niemand denken würde – aber genau deshalb üben wir so realitätsnah wie nur möglich!“
Bericht & Fotos: BRK BGL